Kontroverse
Zwischen Sicherheit und Büroautonomie
Gerichtsvollzieher im Spannungsfeld
Bei einem kontroversen Treffen zwischen der DJG-BW und dem Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg am 30. Oktober 2024 prallten grundverschiedene Positionen aufeinander. Anlass des Gesprächs war die laufende Machbarkeitsstudie zur Einführung einer zentralen IT-Ausstattung für die Gerichtsvollzieher
des Landes – ein Vorhaben, das aus unserer Sicht weitreichende Auswirkungen auf die Büroautonomie und die Arbeitsbedingungen unserer Mitglieder haben könnte. Wir als Gewerkschaft befürchten eine schleichende Kontrolle, eine Einschränkung der Selbstständigkeit und mangelnde Berücksichtigung der Praxisbedürfnisse, während das Ministerium sich auffallend in Schweigen über wesentliche Details hüllt.
Sicherheitsanforderungen als Vorwand für zentrale Kontrolle?
Die offizielle Begründung des Ministeriums klingt zunächst vernünftig: Um den strikten Vorgaben des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zu entsprechen, soll eine einheitliche IT-Lösung die Gerichtsvollzieher „absichern“ und entlasten. Doch wir stellen klar: Die weitreichende Vereinheitlichung bedroht die Eigenständigkeit der Gerichtsvollzieher in ihrem Arbeitsalltag. Individuelle Arbeitsabläufe und angepasste Lösungen, die genau auf die dezentralen Strukturen und unterschiedlichen Bedürfnisse der Gerichtsvollzieher abgestimmt sind, könnten unter der geplanten Vereinheitlichung leiden oder gar verschwinden.
Laut Ministerium sollen „Musterbüros“ als Vorlage für die zentrale Ausstattung dienen – eine Lösung, die aus unserer Sicht jegliche Praxisnähe vermissen lässt. Praxiserfahrene Gerichtsvollzieher wurden bislang nicht in die Entwicklung einbezogen. Stattdessen sollen zentrale Standards über die Köpfe der betroffenen Beamten hinweg definiert werden. Der Trend zur Vereinheitlichung und zentralen Steuerung wirkt wie ein Angriff auf die Büroautonomie der Gerichtsvollzieher – ein Umstand, den das Ministerium offensichtlich bewusst in Kauf nimmt.
Weder klare Finanzierung noch Unterstützung vor Ort
Zusätzlich zu den Bedenken hinsichtlich der Büroautonomie fehlt eine konkrete Finanzierungsstrategie. Auf die Frage, wer für die Kosten aufkommt, gab das Ministerium ausweichende Antworten und erklärte lediglich, dass dies „später geklärt“ werde. Eine zentrale Ausstattung wird jedoch unweigerlich hohe Kosten verursachen, nicht nur für die Geräte selbst, sondern auch für den technischen Support und notwendige Schulungen. Es scheint, als hoffe das Ministerium auf eine Lösung nach dem Prinzip „Augen zu und durch“, ohne Rücksicht auf die finanziellen Belastungen für die Gerichtsvollzieher oder die Justizkasse.
Noch gravierender ist jedoch die drohende Abhängigkeit von einem zentralisierten IT-Support, der bereits jetzt durch lange Reaktionszeiten und mangelnde Flexibilität auffällt. Der mögliche IT-Dienstleister ist in der Vergangenheit wiederholt durch schleppenden Service in der Gerichtspraxis aufgefallen – eine Tatsache, die die Gerichte selbst also nur zu gut kennen. In einer Situation, in der die zentrale Hardware bei einem Ausfall nicht unmittelbar ersetzt oder repariert wird, könnten die Gerichtsvollzieher im Ernstfall handlungsunfähig werden, da eine kurzfristige Eigenbeschaffung nicht mehr möglich wäre.
Verlust der Büroautonomie und Kontrolle über den Arbeitsalltag
Die Einführung einer zentralen IT-Lösung stellt eine existenzielle Bedrohung für die Selbstständigkeit und Flexibilität der Gerichtsvollzieher dar. Als Beamte in einem dezentralen Arbeitsumfeld benötigen sie maßgeschneiderte Lösungen, die optimal auf ihre individuelle Arbeitsweise abgestimmt sind. Die vorgesehene Einheitsausstattung hingegen könnte zu einem Verlust der Büroautonomie führen und die Gerichtsvollzieher zunehmend von zentralen Stellen abhängig machen. Die individuelle Freiheit in der Auswahl von IT- und Arbeitsmitteln, die für einen reibungslosen Arbeitsablauf notwendig ist, würde massiv eingeschränkt.
Wir kritisieren die Intransparenz und die Praxisferne der geplanten Maßnahmen. Dass die Machbarkeitsstudie überhaupt bekannt wurde, war eher ein Zufall – das Ministerium hatte sich bis zum Gespräch zurückgehalten. Unser Vorwurf, das Ministerium plane stillschweigend an den betroffenen Gerichtsvollziehern vorbei, ist daher nicht unbegründet. Unsere Forderung nach einer echten Praxisbeteiligung bleibt bislang unerhört.
Eklatante Mängel in der Kommunikation
Unser Misstrauen ist nicht unbegründet: Auf konkrete Anfragen zur Machbarkeitsstudie reagierte das Ministerium ausweichend oder beschwichtigend. Weder wurden Unterlagen zur Projektplanung noch zur genauen Zielsetzung oder zu den rechtlichen Rahmenbedingungen bereitgestellt. Wir sind überzeugt, dass wesentliche Details bewusst zurückgehalten werden, um die Akzeptanz der zentralen IT-Lösung zu sichern, ohne auf die Bedürfnisse der Praxis einzugehen. Die Möglichkeit einer ergebnisoffenen Studie wird dadurch in Frage gestellt.
Fazit: Ein Experiment auf Kosten der Gerichtsvollzieher?
Das Gespräch mit dem Ministerium zeigt, dass die Machbarkeitsstudie zum trojanischen Pferd für eine schleichende Zentralisierung und Bürokratisierung der Gerichtsvollzieherdienste werden könnte. Das Ministerium hält an seiner Vision einer zentralen Lösung fest, ohne Rücksicht auf die individuell angepassten Arbeitsstrukturen und die Eigenständigkeit der Gerichtsvollzieher. Die angekündigte Einbindung der Praxis, die erst nach einem „Zwischenfazit“ erfolgen soll, wirkt wie ein Alibi-Versprechen. Es bleibt zu hoffen, dass das Ministerium seine Pläne überdenkt und die Bedürfnisse der betroffenen Gerichtsvollzieher ernst nimmt, bevor irreversible Entscheidungen getroffen werden.
Für uns als Gewerkschaft und unsere Mitglieder ist klar: Die Büroautonomie und Flexibilität der Gerichtsvollzieher dürfen nicht einer zentralen IT-Politik zum Opfer fallen.
Dr. Pierre Holzwarth
Vorsitzender Fachbereich Gerichtsvollzieher
in der DJG-BW