homeoffice
Zum Recht auf Nichterreichbarkeit
Zapfenstreich im homeoffice
Die Corona-Pandemie hat auch die Arbeitswelt verändert und Missstände wie mit einem Brennglas sichtbar gemacht. War mobile Arbeit in den vergangenen Jahren eher die Ausnahme in Deutschland, so sind ab 2020 ganze Belegschaften nur noch am heimischen Schreibtisch. Ganze Abteilungen treffen sich nur noch online bei Videomeetings, Reisezeiten reduzierten sich auf Null und manche Jobangebote erfolgen nur noch als „Remote“ mit freier Wahl des Ortes.
In der Privatwirtschaft wird schon physisch umgeplant. Mobile Arbeit wird die Regel, es ist nicht einmal mehr vorgesehen, dass alle Mitarbeitenden gleichzeitig im Büro sein können. Mobile und flexible Arbeitsformen können ein Attraktivitätsfaktor sein. Das gilt auch für den öffentlichen Dienst, der in puncto mobiler Arbeit lange ein Schlusslicht war. Mit flexibleren Arbeitsformen wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie beziehungsweise Privatleben gestärkt und Fahrzeiten verringert. Ein großer Teil gibt auch an, dass die Arbeit von zu Hause das konzentriertere Arbeiten ist.
Stressfaktor mobile Arbeit
Die Arbeitsform des Homeoffice beziehungsweise des mobilen Arbeitens birgt gesundheitliche Risiken. Mitarbeitende beklagen häufig die Erwartungshaltung einer ständigen Erreichbarkeit und Leistungsüberwachung. Sie könnten im Homeoffice nicht abschalten und verspürten größeren Druck und Stress. Die AOK führte dazu eine Befragung ihrer Mitglieder durch. Im Ergebnis fühlten sich 73,4 Prozent derjenigen, die häufig im Homeoffice arbeiten, in den vergangenen zwölf Monaten erschöpft und ausgelaugt. Dies liegt an der Zweischneidigkeit der mobilen Arbeit. Die Errungenschaften des Arbeitsschutzes und Erkenntnisse zu ergonomischen Arbeitsplätzen spielen auf dem Küchenstuhl keine Rolle mehr. Hinzu kommt die psychische Belastung. Man arbeitet nicht nur von zu Hause, die Arbeit ist zu Hause eingezogen und somit omnipräsent. Die bislang bestehende räumliche und zeitliche Trennung von Arbeit und Privatleben wird gerade wieder aufgehoben.
Schutzauftrag für die Sozialpartner
Darum gibt es die Forderung nach Nichterreichbarkeit. Es braucht klare Vorgaben, um Beschäftigte auch vor Selbstausbeutung zu schützen und die Entgrenzung von Arbeit und Privatleben zu verhindern.
Gesetzgeber, Tarifpartner und Betriebs- und Personalräte werden daher auch zukünftig klare Regeln formulieren müssen, die die Beschäftigten auch im digitalen Arbeitsleben schützen.
Arbeitswelt verändert sich rapide
Durch das Fortschreiten der Digitalisierung verändert sich die Arbeitswelt rapide. Mobilität bedeutet die Möglichkeit, fast immer und überall arbeiten zu können, und birgt die Gefahr, fast immer und überall erreich- bar zu sein. Aber das ist genau nicht das erklärte Ziel der Beschäftigten. Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben sind notwendig. Regelungen müssen zeitliche Schutzräume ermöglichen. Ein Recht auf Nichterreichbarkeit steht den Arbeitnehmenden zu. Dabei sind auch unausgesprochene Erwartungen, nicht nur der Vorgesetzten, sondern auch aus dem Team, in den Blick zu nehmen. Den meisten Druck macht man sich immer selber. Gewerkschaften und Mitbestimmungsgremien müssen die Beschäftigten darum auch vor sich selbst schützen.
Was bringt die Zukunft
Der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien geht auch auf das Thema mobile Arbeit ein und versucht den Spagat zwischen Neuem und Bewährtem, zwischen Schutz der Arbeitnehmenden und Flexibilität. Betont wird die Bedeutung von Arbeitsschutz und guten Arbeitsbedingungen. Daneben versucht die Koalition die aktuellen Realitäten rechtssicher zu begleiten. So wird einerseits der Acht-Stunden-Tag zum Maßstab erklärt, andererseits Experimentierräume bei der Arbeitszeit ausgelobt. Die Arbeit, Abstimmung und Bewertung wird auf die Sozialpartner verlagert und das ist auch gut so. Sie können passgenaue Lösungen für die einzelnen Betriebe, Unternehmen und Dienststellen anbieten.
Europa ist schon weiter
Andere Länder sind hier schon weiter. So hat Portugal gerade 2021 den Feierabend digital gemacht. Chefs dürfen sich nach Feierabend nur bei Notfällen melden, sonst drohen sogar Geldstrafen. In Spanien gibt es diese „Offline“-Regel nach Arbeitsschluss schon seit 2018. In Frankreich dürfen seit 2017 E-Mails, die nach Feierabend eingehen, unbeantwortet bleiben. Seit 2022 haben Belgiens Bundesbeamtinnen und -beamte ein „Recht auf Abschalten“. Egal ob E-Mail, Teams oder die beliebten Messenger, die Beamtinnen und Beamten müssen sich erst am nächsten Tag dem Vorgang widmen. Auch das Europäische Parlament wagt einen Vorstoß in diese Richtung. Die Arbeitswelt wird sich verändern, aber es ist an uns allen, wie wir die Arbeit der Zukunft gestalten.
Quelle:
Tacheles