Arbeitsmenge
Digitalisierte Welt verdichtet Arbeit
Arbeitsmenge hat zugenommen
Eine Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung unter 2.300 Arbeitnehmervertretern (Betriebsräte, Personalräte) hat ergeben, dass längere To-Do-Listen, größere Arbeitsmengen, komplexere Aufgaben, mehr Multitasking und Zeitdruck die Arbeit zunehmend verdichtet und den Stress steigen lässt.
In rund 80 Prozent der Betriebe und Dienststellen passiert das nach Einschätzung der befragten Arbeitnehmervertreter.
Als Gründe für die verschiedenen Aspekte der Arbeitsintensivierung machten die Befragten vor allem eine unzureichende Personalbemessung, Führungsmängel und Arbeitszunahme (Auftragseingänge, Klagewellen etc.) verantwortlich.
Gesundheitliche Auswirkungen
Konkrete Auswirkungen im Hinblick auf die Arbeitsverdichtung benennen die Arbeitnehmer wie folgt: 77 Prozent sehen einen Zusammenhang mit zunehmenden gesundheitlichen Schwierigkeiten unter den Arbeitnehmern, 68 Prozent nehmen eine Verschlechterung des Betriebsklimas wahr, 47 Prozent gehen davon aus, dass die Qualität der Arbeitsergebnisses beeinflusst wird. Als eine der wichtigsten Ursachen wird eine unzureichende Personalausstattung genannt.
Die Engpässe beruhen dabei nicht nur auf Krankenstand oder guter Auftragslage, sondern werden oft als Normalfall beschrieben. Dass die Arbeitsbelastung steigt, lässt sich nicht ausschließlich auf technologischen Wandel oder gesellschaftliche Veränderungen zurückführen, sondern ist in vielen Fällen eine Folge ungünstiger betrieblicher oder dienstlicher Rahmenbedingungen. Gut die Hälfte der Betriebe konnte die ausgeschriebenen Stellen wegen unattraktiver Entlohnung und Arbeitsbedingungen nicht besetzten, vor allem im Dienstleistungsbereich.
Das Problem mit der Arbeitsmenge
Durchrationalisiertes Arbeiten wird aus Gründen des Wettbewerbs und der Leistungsfähigkeit als notwendig angesehen. Für knapp gewordene Fachkräfte oder Personal mit wichtigen Führungsaufgaben, oft aber auch für andere Mitarbeiter fällt dabei so viel Arbeit an, dass diese nicht ohne (bezahlte oder unbezahlte) Überstunden bewältigt werden kann. Das geltende Arbeitsvertragsrecht ist nicht mehr gänzlich in der Lage, ein Ausufern der Arbeit auf Kosten des Privatlebens oder der Gesundheit von Arbeitnehmern*innen zu verhindern. Je weiter die Digitalisierung voranschreitet, umso mehr verlieren die bestehenden Rechtsnormen an praktischer Bedeutung. Gibt es andere Möglichkeiten, die Arbeitsmenge zu begrenzen? Lässt sich über Mitbestimmung, Tarifpolitik oder behördliche Anordnungen der Gesundheitsschutz der arbeitenden Menschen verbessern?
Arbeitnehmer*innen sind im Regelfall verpflichtet, im Rahmen ihres individuellen Leistungsvermögens tätig zu werden. Die Rechtsprechung verlangt eine „angemessene Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit“. Eine Gefährdung der Gesundheit muss indes nicht in Kauf genommen werden. In der Praxis wird sich der einzelne Arbeitnehmer nicht darauf berufen, will er doch nicht als „weniger engagiert“ oder als Schlechtleister erscheinen.
Es gibt Betriebsvereinbarungen, die nicht nur Existenz und Führung von Arbeitszeitkonten regeln, sondern unter bestimmten Voraussetzungen den Arbeitgeber auch zu Neueinstellungen verpflichten. So gibt es Entscheidungen des Arbeitsgerichts Stuttgart aus den Jahren 2009 und 2016: befinden sich die Arbeitszeitkonten einer Arbeitsgruppe im Plus und scheidet ein Mitglied aus, so muss es durch eine neue Arbeitskraft ersetzt werden. Liegt die durchschnittliche Arbeitszeit der Gruppe zu einem Stichtag über einem bestimmten Grenzwert, so ist eine zusätzliche Arbeitskraft einzustellen. Anders als bei den traditionellen Besetzungsregeln wird nicht an der Aufgabe angeknüpft, sondern an der Stundenbelastung – was natürlich voraussetzt, dass diese einigermaßen exakt erfasst wird, was bei traditioneller Fabrikarbeit eher möglich ist als bei der künftigen Arbeit im digitalisierten Zeitalter.
Schwachstellen im Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsgesetz
Drei Viertel der befragten Arbeitnehmervertreter haben bei übermäßig langen oder unregelmäßigen Arbeitszeiten schon einmal eingegriffen. 83 Prozent der befragten Arbeitnehmervertreter haben beim Management mehr Personal angefordert. Allerdings haben nur 44 Prozent der Betriebe Personal eingestellt. Oft aber temporäre Aushilfen oder Leiharbeiter. Spürbare Personalaufstockungen gab es in lediglich 38 Prozent der Betriebe. Diese Zahlen deuten auf eine Schwachstelle im Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsgesetz hin.
Die Mitbestimmungsrechte bei der Personalausstattung sind schwach. Hier sollte der Gesetzgeber in der Pflicht stehen, die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertreter zu vergrößern. Das Ziel muss sein, eine nachhaltige und präventive Arbeitsgestaltung und -regulierung zu erreichen, die die Beschäftigten selbst mit ihren Leistungsanforderungen und Ressourcen in den Blick nimmt, sowie eine deutlich robustere Personalbemessung, die auch Urlaubs- und Krankheitsphasen übersteht.
Reinhard Ringwald
Landesvorsitzender
Quellen:
Nora Tichy online 13.02.2020
Hedda Nier online 04.02.2020
Prof. Dr. Wolfgang Däubler online „Steuerung der Arbeitsmenge in der digitalisierten Welt?“